Carl Orff

Carl Orff bleibt in der Musikgeschichte des nationalsozialistischen Deutschlands ein Rätsel.  Als Künstler schienen die Chancen gegen ihn zu stehen, als die Nazis an die Macht kamen: Es wurde erwartet, dass der Komponist ein weiteres Opfer der repressiven Kulturpolitik des Dritten Reiches werden würde.  Dennoch gelang es Orff, sich und seiner Musik einen Platz im nationalsozialistischen Deutschland zu verschaffen.

Carl Orff wurde 1895 als Sohn einer angesehenen Münchner Offiziers- und Gelehrtenfamilie geboren. Seine Mutter war eine versierte Pianistin, die ihn schon als Kind unterrichtete.  Noch als Teenager meldete er sich zum Militär, kehrte aber 1917 nach einem fast tödlichen Granatenschock nach Hause zurück.  Nach einigen Jahren des Experimentierens und Ausprobierens verschiedener musikalischer Karrieremöglichkeiten wurde Orff Partner in der Münchner Günther-Schule, einer Bildungseinrichtung, die Musik und Bewegung miteinander verband. Der Komponist blieb ein Leben lang an der Musikpädagogik interessiert.

In den späten 1920er Jahren hatte sich Orff als wichtige Figur in der kleinen, aber bedeutenden musikalischen Oase der Moderne im ansonsten konservativen München etabliert, der Liga für zeitgenössische Musik.  Der 1927 gegründete Verein führte unter anderem Werke von Bartók, Hindemith, Schönberg und Strawinsky auf.  Der junge Musiker arbeitete auch kurzzeitig mit Bertolt Brecht zusammen und beteiligte sich an der innovativen neuen Bach-Gesellschaft in München, was seinen Ruf festigte, abseits des Mainstreams, ja sogar der Avantgarde zu stehen.  Nichtsdestotrotz ging sein Stern Anfang der 1930er Jahre langsam auf, als Hitler an die Macht kam und sich die Realität des Musizierens in Deutschland dramatisch verändern sollte.

Wie viele andere Künstler dieser Zeit galt auch Orff als Linker.  Er hatte viele jüdische Freunde, darunter Kurt Weill und den Dichter Franz Werfel, und arbeitete intensiv mit bekannten Marxisten wie Brecht zusammen.  Es gibt auch Berichte, dass Orff zu einem Viertel jüdisch war, eine Tatsache, die seine Unsicherheit nur noch verstärken konnte.  Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hat Orff nie offen oder verdeckt Widerstand gegen die Nazipolitik geleistet.  Er entwickelte seine Theorien zur Musikpädagogik und versuchte, seine Ideen in die Musikpolitik der Hitlerjugend zu integrieren. Orff, der alle Verbindungen zu jüdischen, linken oder modernistischen Künstlern vergessen wollte, betonte seine Abneigung gegen die Jazzmusik und die Atonalität Schönbergs und seiner Schüler und hob seine eigene aufrichtige und tief verwurzelte Wertschätzung der Volksmusik hervor.

Jahrelang war Orff vom Kampfbund für deutsche Kultur (KfdK) als Kulturbolschewist angefeindet worden.  Dieser gefährliche Ruf bestätigte sich zunächst bei der umstrittenen Uraufführung seines später bekanntesten Werks Carmina Burana im Jahr 1937.  Trotz Orffs zunehmender Kontakte zu NS-Funktionären und seiner anerkannten musikpädagogischen Arbeit wurde die Uraufführung von dem einflussreichen NS-Musikwissenschaftler Hans Gerigk scharf kritisiert.  Gerigk zufolge litt die Carmina Burana unter einer "irrtümlichen Rückkehr zu primitiven Elementen des Instrumentalismus und einer fremden Betonung rhythmischer Formeln".  Spätere Kritiken fielen jedoch positiv aus, und das NS-Regime erkannte das Potenzial des Werks.

Der Erfolg von Carmina Burana veranlasste den Frankfurter Oberbürgermeister, den Komponisten zu bitten, eine alternative Musik für den Sommernachtstraum zu schreiben.

Nach dem Krieg wurden die meisten Künstler, die unter dem Naziregime weiter tätig waren, entnazifiziert".

"Orff gehörte zu denen, die von den Amerikanern bewertet wurden. Er wurde als "'Grey C', akzeptabel" eingestuft, die Kategorie für Personen, die zwar Nutznießer des Dritten Reiches waren, aber persönlich keine nationalsozialistische Einstellung hatten. Orff erhielt schließlich eine Lizenz zum Komponieren und Gastdirigieren". 

Als einer der bedeutendsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts starb Orff 1982 in München.