Wilhelm Rettich

1892-1988

Wilhelm Rettich war ein deutsch-jüdischer Komponist, Dirigent und Lehrer. Er floh 1933 aus Deutschland in die Niederlande und überlebte die Nazi-Besetzung, indem er sich allein in einem Keller versteckte und Musik komponierte. Obwohl er heute nicht besonders bekannt ist, wird Rettichs Musik hoch geschätzt. Sein Repertoire besteht aus Kammermusik, sinfonischer Musik, Chorwerken und Liedern.

Der 1892 in Leipzig geborene Rettich studierte Klavier und Komposition bei Max Reger am Leipziger Konservatorium, obwohl er relativ wenig theoretische Ausbildung genossen hatte. Ab 1912 arbeitete er als Korrepetitor an der Leipziger Oper, bevor er während des Ersten Weltkriegs zur deutschen Armee eingezogen wurde. Rettich wurde von den Russen in Sibirien als Kriegsgefangener festgehalten. Während seiner Gefangenschaft komponierte er die Oper König Tod nach einem Text seines Mithäftlings Franz Lestan, deren Musik von russischen und chinesischen Volksliedern inspiriert war. In Sibirien gründete er auch ein Orchester mit selbstgebauten Instrumenten.

Rettich gab nach der Oktoberrevolution Klavierunterricht in Russland, bevor er 1920 über China und Österreich nach Deutschland zurückkehrte. In den Jahren 1923-28 bearbeitete er Werke der deutsch-jüdischen Dichterin Else Lasker-Shüler zu einem Liederzyklus, Zyklus, op. 26A. Der König Tod wurde 1928 in Stettin (damals Deutschland, heute Szczecin in Polen) uraufgeführt. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Rettich als Dirigent und Komponist für den Leipziger Rundfunk, bevor er 1930 nach Berlin zog, um für den Berliner Rundfunk und das Schiller-Theater zu arbeiten. Er komponierte das Chorwerk Fluch des Krieges für Gesangssolisten, Chor und Orchester nach Gedichten von Li Tai Po, die er in China kennengelernt hatte.

Als Hitler 1933 an die Macht kam, konnte Rettich nicht arbeiten, weil er Jude war; außerdem war er Pazifist und Sozialist, was seine Situation noch gefährlicher machte. Der Komponist floh so schnell wie möglich in die Niederlande, lebte ab 1934 in Haarlem und änderte die Schreibweise seines Vornamens in Willem, um niederländischer zu klingen. Rettich arbeitete für den niederländischen Rundfunkverband VARA und unterrichtete Klavier und Theorie bis zur Besetzung der Niederlande durch die Nazis im Jahr 1940, als er seine Stelle verlor. Rettich zog nach Blaricum, einer kleinen Stadt östlich von Amsterdam, wo er Musik unterrichtete und kleine Konzerte gab. 1942 versteckte er sich in einem Keller; Nachbarn halfen, ihn mit Lebensmitteln zu versorgen. Rettichs Mutter und sein jüngerer Bruder, die in Haarlem untergetaucht waren, wurden 1943 verraten und von den Nazis deportiert und ermordet.

Rettich hatte während seines Verstecks keinen Zugang zu einem Klavier, aber er komponierte trotzdem weiter, und ein Großteil der Musik, die er in dieser Zeit komponierte, basiert auf jüdischen Themen. Die Sinfonia Giudaica, op. 53, wurde während seines Versteckens komponiert, aber erst 35 Jahre später uraufgeführt. Der Untertitel, "In memoriam fratum", erinnert an den Tod seines Bruders. Das Eröffnungsthema seines Klavierkonzerts, Symphonische Variationen für Klavier und Orchester, op. 54, stammt aus einer Anthologie hebräischer Melodien von Rettichs Onkel mütterlicherseits, dem Musikethnologen und Komponisten Abraham Zvi Idelson. Rettich widmete das Klavierkonzert seiner Mutter.

Rettich kehrte nach dem Krieg nach Haarlem zurück, wurde als niederländischer Staatsbürger eingebürgert und arbeitete als Dirigent und Lehrer. In den Niederlanden heiratete er die Sängerin Elsa Barther. 1964 zogen sie zurück nach Deutschland und ließen sich in Baden-Baden nieder. Rettich starb im Jahr 1988.

By Abaigh McKee.

Quellen

Anon (2006) 'Wilhelm Rettich, Else Lasker-Schüler Zyklus op.26A' Gideon Boss Musikproduction (http://www.gideon-boss-musikproduktion.de/lang/en/veroffentlichungen-releases-publications_alt/wilhelm-rettich-else-lasker-schuler-zyklus-26a/titel-title-titre/; Zugriff am 8.12.2016)

Baser, F. (n. d.) 'Rettich, Wilhelm' Grove Music Online (http://www.oxfordmusiconline.com/subscriber/article/grove/music/23265?q=rettich&search=quick&pos=1&_start=1; Zugriff am 7.12.2016)

Frühauf, T. und Hirsch, L. E. (2014) Disclocated Memories: Jews, music, and postwar German culture (New York: OUP)

Haas, M. (2013) 'Wilhelm Rettich' Forbidden Music Blog (https://forbiddenmusic.org/2013/12/15/wilhelm-rettich/; Zugriff am 7.12.2016)

Haas, M. (2016) 'Restoration - Restitution' [unveröffentlichtes Papier] UK.

Licht, R. (2010) 'Wilhelm Rettich' LexM (http://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001498;jsessionid=1nk7dbdou4gh?wcmsID=0003&XSL.lexmlayout.SESSION=lexmperson_all; Zugriff am 7.10.2016)

Scholten, D. (n. d.) 'Wilhelm Rettich (1892-1988)' Leo Smit Foundation (http://www.leosmit.org/composers.php?DOC_INST=26#.WEgUT3ecbR0; Zugriff am 7.12.2016)