Karol Rathaus

Karol Rathaus wurde am 16. September 1895 in Tarnopol (heute Teil der modernen Ukraine, Ternipil) geboren. Laut Volkszählung von 1910 wohnte Rathaus in der Błonie-Straße 2688 mit seinen Eltern Bernard, einem Tierarzt, und Amalie. Karol hatte noch einen Halbbruder Rudolf und eine Schwester Dora. Rathaus' musikalische Begabung zeigte sich schon früh, sehr zur Beunruhigung seines Vaters, als er im Alter von 5 Jahren begann, nach dem Gehör Klavier zu spielen. Mit 7 Jahren komponierte der junge Rathaus, und mit 14 Jahren hatte er bereits ein Stück für Orchester fertiggestellt.

Obwohl er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Meisterkomponist anerkannt war, absolvierte Rathaus auf Drängen seines Vaters zunächst ein formales Jurastudium, während er 1913 nebenbei ein Musikstudium an der Akademie für Musik und darstellende Kunst aufnahm. Der junge Rathaus zeichnete sich durch seine musikalischen Studien aus und hatte am Ende seines ersten Jahres das Äquivalent eines 3-jährigen Studiums absolviert.

Während dieser aufblühenden musikalischen Periode studierte Rathaus Klavier bei Joseph Hofmann und Kontrapunkt und Chorkomposition bei der Figur, die großen Einfluss auf den jungen Lehrling haben sollte: dem berühmten österreichischen Komponisten, Dirigenten und Lehrer Franz Schreker.

Dieser neue Lebensabschnitt war nur von kurzer Dauer, da im Juli 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und Karol kurz darauf zum österreichischen Kavalleriekorps eingezogen wurde.  1919 kehrte er zu seinen Studien in Wien unter Franz Schreker zurück.  Im folgenden Jahr trat Schreker eine Stelle als Direktor der Berliner Musikhochschule an, mit der Vereinbarung, dass er viele seiner Kompositionsschüler aus Wien mitnehmen durfte. Dazu gehörte eine schillernde Reihe von Talenten, darunter die Dirigenten Joseph Rosenstock und Jascha Horenstein (beide langjährige Freunde des Rathauses), Ernst Krenek (Komponist der 'Jazz'-Oper Jonny Spielt Auf), Alois Hába (bekannt für Experimente mit Mikrotonalität), Julius Burger (Komponist, Dirigent und Arrangeur, bekannt für Orchesterwerke/Arbeiten mit der BBC & MET Opera), Wilhelm Grosz, und Berthold Goldschmidt, neben vielen anderen der großen 'Lost Generation'.

Rathaus blieb bis 1921 in Schrekers Obhut, kehrte dann nach Wien zurück und promovierte (nicht in Musik, sondern in Geschichte). Sein Studium wurde von finanziellen Problemen und mehreren Ausbrüchen der Tuberkulose geplagt, die er sich während seines Kavalleriedienstes zugezogen hatte.

Diese Krankheit zog sich wie ein roter Faden durch Rathaus' Leben, und aufgrund dieser Belastungen sowie der Hyperinflation im Nachkriegsdeutschland teilte er seine Zeit zwischen seinem Elternhaus in Tarnopol und Wien auf, wo er die nächsten Jahre mit seiner Lebensgefährtin Gerta Pfefferkorn im zweiten Bezirk lebte.

Rathaus hatte sich bereits vor Abschluss seines Studiums als Komponist einen Namen gemacht, indem er 1919 sein Opus No.1-Variationen über ein Thema von Reger für Klavier bei einem Konzert des Wiener Philharmonischen Chores aufführte.

Rathaus sicherte sich auch einen 10-jährigen Publikationsvertrag mit der Universal Edition, der nach Vorlage seines Opus No.2, Klaviersonate.  Erst die Uraufführung seiner 2. Sinfonie (die von der Kritik als "radikal" bezeichnet wurde) im Rahmen des Frankfurter Musikfestes 1924 sollte Rathaus einen großen Erfolg bescheren.  Von da an eilte Rathaus von Erfolg zu Erfolg mit drei bemerkenswerten Uraufführungen in seiner Wahlheimat Berlin: das Ballett Der Letzte Pierrot, das 1927 von der Berliner Staatsoper unter der Leitung von George Szell aufgeführt wurde, die Ouvertüre Op.22 von 1928 unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern und die gemischte, aber dennoch erfolgreiche Oper Fremde Erde, Op.25, aufgeführt von der Berliner Staatsoper unter der Leitung von Erich Kleiber.

Damit begann für Rathaus eine äußerst produktive Zeit im Bereich der klassischen Musik, denn seine Orchesterwerke waren nun bei den genannten Dirigenten, aber auch bei Otto Klemperer und seinem Freund Jascha Horenstein beliebt. Sein Erfolg übertrug sich auch auf den aufkeimenden Bereich der Filmmusik, und seine frühe Präsenz in diesem Bereich machte ihn zu einem der bekanntesten Komponisten in Deutschland. Eine bemerkenswerte Filmkomposition aus dieser Zeit war die für den Film Der Mörder Dimitri Karamasoff (1930) mit dem Regisseur Fyodor Ozep. Weitere Assoziationen aus dieser Zeit sind die Zusammenarbeit mit den Regisseuren Alexis (Alexander) Granovsky, John Brahm und Julien Duvivier.  Rathaus' Talent schien unerschöpflich zu sein, denn in dieser Zeit komponierte er auch Musik für verschiedene Theaterproduktionen von Max Reinhardt. Das Medium Film sollte Rathaus in den folgenden Jahrzehnten beschäftigen. Bei über 20 Filmen ist er als Originalkomponist aufgeführt, dazu kommen über 40 nicht genannte Filmbeiträge.

Diese äußerst erfolgreiche Zeit sollte leider nicht von Dauer sein, und mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus verließ Rathaus 1932 Berlin in Richtung Frankreich, wo er weiterhin für den Film komponierte. Nur zwei Jahre später war er erneut gezwungen zu fliehen, diesmal nach London. Die darauf folgenden Unruhen in Europa machten es Rathaus mehrere Jahre lang schwer, Arbeit zu finden. In den Londoner Jahren komponierte er weiterhin Kammermusik, unter anderem 1937 einen Auftrag für das Ballet Russe mit dem Titel Le Lion Amoureux, der im Covent Garden Opera House aufgeführt wurde. Im darauffolgenden Jahr fasste Rathaus den Plan, in Hollywood als Filmkomponist tätig zu werden. Obwohl er auf diese Weise einige Aufträge erhielt, kamen keine unmittelbaren Angebote zustande, und zwei Versuche am Broadway (Herodes und Marianne & Another Sun) brachten ihm nicht die nötige Glaubwürdigkeit.

Rathaus' Weg weist viele Ähnlichkeiten mit dem des Komponisten und Schreker-Schülers Julius Burger auf, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 seine Arbeit als Dirigent beim Berliner Rundfunk aufgab und sich nach Frankreich absetzte, wo er in den frühen 1930er Jahren halbwegs regelmäßig als Komponist/Arrangeur für das BBC Theatre Orchestra arbeitete. 1938 ging Burger auch in die Vereinigten Staaten, wo er an einer Broadway-Produktion von Songs of Norway mitwirkte.

Nun in New York City lebend und ohne feste Anstellung, kam die Rettung für Rathaus durch das Angebot, eine Stelle als Professor für Komposition am neu gegründeten Queens College in Flushing, NY, anzunehmen. Viele Quellen, darunter  Martin Schüsslers Artikel "Karol Rathaus: Ein amerikanischer Komponist polnischer Herkunft" und Boris Schwarz' Aufsatz "Karol Rathaus", verweisen auf die große Befriedigung, die Rathaus aus seiner Position als Professor zog. Zwar komponierte er in dieser Zeit auch ernste Musik, insbesondere die 1943 in Auftrag gegebene Polonaise Symphonique für die New Yorker Philharmoniker, die 1945 unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos uraufgeführte Vision Dramatique und die 1952 von der Metropolitan Opera Company in Auftrag gegebene Restaurierung von Mussorgskys Boris Godunow, doch widmete Rathaus den größten Teil seiner Zeit der Schaffung von Unterrichtsmusik für die Studenten des Queens College (z. B. das Chorwerk Six Polish Folksongs und das Instrumentalstück Country Serenade) und gab seine Bestrebungen, sein früheres Werk fortzusetzen, weitgehend auf. Während seiner Lehrtätigkeit entstanden etwa 50 Stücke, wobei sich der Schwerpunkt dieser Stücke von Stücken mit sozialer Botschaft zu solchen mit pädagogischem Charakter verlagerte.

Die turbulenten Jahre des Exils, gepaart mit Müdigkeit und Krankheit, forderten ihren Tribut von Rathaus, sowohl körperlich als auch seelisch. Ein Großteil der aktuellen Forschung über Rathaus zeigt, dass die Resignation, die durch das erzwungene Exil in den frühen Phasen des Erfolgs ausgelöst wurde, zusammen mit dem Wunsch der europäischen Musikkreise in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, nach vorne zu blicken und die Vergangenheit zu vergessen, dazu beitrug, dass die Werke dieses bedeutenden Komponisten durch die sprichwörtlichen Ritzen fielen.

Viele Kollegen, darunter Jascha Horenstein, bemerkten Rathaus' Abneigung, an seine ernsthaften kompositorischen Erfolge der 1930er Jahre anzuknüpfen, und drängten ihn, dies zu tun. Viele von Rathaus' eigenen Schülern hatten nur eine blasse Ahnung von seinen früheren Erfolgen auf den europäischen Bühnen. Resigniert über die Tatsache, dass er nie wieder das Ansehen erreichen würde, das er in seinem früheren Leben erlangt hatte, und zufrieden mit seiner wichtigen Arbeit als Pädagoge, starb Karol Rathaus am 21. November 1954 im Alter von 59 Jahren in Flushing, New York.

In vielerlei Hinsicht war Rathaus' kompositorische Sprache ein direktes Spiegelbild seiner facettenreichen Persönlichkeit. Er wurde in Galizien als ethnisch jüdischer Pole geboren, in der österreichisch-deutschen Kompositionsschule ausgebildet und von der deutschen Musikelite umarmt, ein Exilant in Frankreich und ein Amerikaner mit neuer Identität. Das Rathaus lässt sich nicht in ein bestimmtes Lager oder eine Gruppe einordnen, und das spiegelt sich auch in seiner Musik wider. Obwohl Schreker in seinem Unterricht keine Vorschriften machte und seine Schüler ermutigte, ihre eigene musikalische Sprache zu finden, behielten fast alle seine Schüler etwas von dem üppigen, spätromantischen Expressionismus und der Musikalität der Avantgarde bei, mit denen er in Verbindung gebracht wurde. Michael Haas zufolge lässt sich das Rathaus nicht in dieses Genre einordnen, und er hat sich auch nicht voll und ganz den Schönberg'schen Ideen verschrieben, obwohl er diese Denkschule (Dodekaphonie oder "Serialismus") als eine "Unvermeidlichkeit" in der Entwicklung der musikalischen Komposition verteidigte.

Glücklicherweise hat man sich bemüht, das Erbe von Karol Rathaus zu bewahren. Dies geschah zunächst durch seine Frau Gerta (Pfefferkorn) Rathaus, die im Laufe der Jahre Manuskripte, Briefe, Papiere und Nachlässe zusammentrug. Die Sammlung wird nun in der Karol Rathaus Papers Sammlung am Queens College aufbewahrt. Zu den Werken, die von 1919 bis 1954 reichen, gehören Veröffentlichungen vieler prominenter Verlage, darunter Associated Music Publishers, Boosey and Hawkes Publishers, Oxford University Press, Queens College Music Library, Society for the Publication of American Music und Universal Edition.

Zu den bemerkenswerten Forschungen über Karol Rathaus gehört auch der demnächst erscheinende Dokumentarfilm Discovering Karol Rathaus, der Interviews mit führenden Wissenschaftlern, Musikern und Kollegen von Rathaus enthält. Zu den weiteren Beispielen für das Wiederaufleben seiner Musik gehört ein Festival, das Rathaus' Werken gewidmet war und in der dritten Februarwoche 2019 auf dem Campus des Queens College stattfand.

Von Ryan Hugh Ross

Quellen

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